Am
21. Und 22, Februar 1997 trafen sich in Essen zahlreiche deutsche
Medizinjournalisten, um sich über das Krankheitsbild der
Parkinsonschen Erkrankung zu informieren. Der von Pharmacia &
Upjohn veranstaltete Workshop bot Gelegenheit zum Gespräch mit
Betroffenen, zur Selbsterfahrung mit den typischen Behinderungen des
Leidens und zum Einblick in alltagspraktische, psychische und
therapeutische Gesichtspunkte des Leidens. Moderator des ersten Tages
war W. Mehrhoff, der als Bundesgeschäftsführer der Deutschen
Parkinson Vereinigung auf den Welt-Parkinson-Tag am 12. April 1997
aufmerksam machte.
Sehr eindrucksvoll beschrieb
Klaus Bock am eigenen Beispiel, wie ein Betroffener die Krankheit
erlebt. Wenn die „Schüttellähmung“ zunehmend Macht über die
Motorik gewinne, sei es, „als stehe man neben sich“, sagte der
Vorsitzende der Deutschen Parkinson Vereinigung.
Zwischen
Puppenspiel und Odyssee
Die Krankheit werde
zu einem „Puppenspieler“, dessen Willen der Patient völlig
ausgeliefert sei. Das Leiden beginne mit einer „Odyssee“, in deren
Verlauf man bis zur Sicherung der Diagnose meist mehr Ärzte treffe,
als man bis dahin Freunde gehabt habe, beschrieb Bock typische
Erfahrungen von Mitbetroffenen. Gleichzeitig komme es oft zu einem
Spießrutenlauf, da die Öffentlichkeit den morgens schon zitternden
und leicht schwankenden Kranken mit seiner wie nach 12 Bier
verwaschenen Stimme mit einem Alkoholiker verwechsele. Manchem
Parkinson-Kranken wurde deswegen schon die Busfahrt verweigert.
Unverständig reagiert die Umwelt häufig auch dann, wenn der
Parkinson-Kranke an der Supermarktkasse den Betrieb stoppt oder vor
einer Autoampel beim Wechsel von Rot auf Grün nicht in Gang kommt.
Auch das Privatleben leidet, da sich der Kranke abends oft lethargisch
vor dem Fernseher bis zum Erscheinen des Testbildes niederläßt und
sich aus seinen sozialen Kontakten immer mehr zurückzieht. Die
Probleme am Arbeitsplatz nehmen zu, bis irgendwann die Berentung unumgänglich
ist. Auch das Sexualleben wird schwieriger nach dem Motto „Geht es
mir körperlich schlecht, regt sich auch sonst nichts“. Angesichts
des fluktuierenden Verlaufs „komme es mitunter auf die Sekunde
an“. Bock betonte, daß trotz alledem viele Parkinson-Kranke ihren
Humor nicht verlieren und den Schalk aus ihrem Maskengesicht blicken
lassen. Bei guter medikamentöser Einstellung sei eine weitreichende
Teilhabe am normalen Geschehen möglich. So lassen sich durchaus auch
Reisen verwirklichen.
Gemeinsames
betreutes Wohnen
Einen in Deutschland
bislang einmaligen Ansatz zur Betreuung junger Parkinson-Kranker
stellte Dr. H. Gerhard vor. In Essen leben seit Oktober 1996 sechs
Parkinson-Kranke in behindertengerecht gestalteten Wohnungen, die mit
einem Notrufsystem ausgestattet sind. Eine Hauswirtschafterin und ein
Sozialarbeiter betreuen die Gruppe tagsüber. Zu den Vorzügen des
Modells gehört, daß sich die Kranken gegenseitig unterstützen. Denn
bei einer Gruppe von 6 Parkinson-Kranken ist immer jemand körperlich
in der Lage, den anderen zu helfen.
Instant
Ageing: In 10 Minuten Parkinson-krank
Zu einer Reise durch
das Leiden an der Parkinsonschen Erkrankung im Sinne einer
Selbsterfahrung lud Prof. Dr. Robert Heinrich ein. Der Münchener
Geriater beschrieb die Diskrepanz zwischen den jungen
„Gesundheitsanbietern“ und ihrem alten, meist multimorbiden
Stammklientel. Praxiseinrichtung („moderne italienische Designerstühle“)
und Praxisabläufe („Aufruf durch Lautsprecher“) seien häufig
nicht auf bewegungsbehinderte und schwerhörige alte Menschen
abgestimmt. Diese müßten sich anhören, daß sie „den Betrieb
aufhalten“, wenn sie sich schwertun, den Kommandos und den
Zeitvorgaben beim An- und Auskleiden zu folgen und sich in oder auf
entsprechende Untersuchungsgeräte zu begeben. Der heutige
Medizinbetrieb verhalte sich monopolistisch nach dem Motto „Wir
haben alles, war Ihr braucht, und was wir nicht haben, das braucht Ihr
auch nicht“ kritisierte Heinrich.
Stellvertretend für alle
Anwesenden schlüpfte ein Workshop-Teilnehmer für einige Minuten in
den Körper eines Parkinson-Kranken. Steife Halskrause, am Rumpf
fixierte Arme, nach vorne gezogener Oberkörper, zusammengebundene
Beine, eine beschlagene Brille, Kunststoffhandschuhe sowie ein Walkman
mit Hintergrundrauschen imitierten die typischen Beeinträchtigungen
eines Menschen mit Morbus Parkinson. Derart eingeschränkt konnte die
Testperson schließlich erleben, wie schwierig es in einer solchen
Verfassung ist, sich die Schuhe zu binden, Kaffee einzuschütten oder
eine Tablette aus einer Blisterpackung zu lösen.
Alltagshilfen
Wie man
Parkinson-Kranken den Alltag erleichtert, beschrieb Dr. Ferenc Fornadi
(Gertrudis Klinik Biskirchen) in einem Diskussionsbeitrag. Da die
Patienten zum Essen längere Zeit brauchen, sei die Benutzung von
Warmhaltetellern sinnvoll. Idealerweise sollten sie Haftfüße
(Saugnoppen) und einen erhöhten Tellerrand haben, um der zitternden
Hand des Kranken Rechnung zu tragen. Startschwierigkeiten
(„Freezing“) kann der Kranke selbst überwinden, indem er sich
Kommandos gibt oder über einen Walkman Marschmusik hört. Als
Hilfsmittel hat sich ein Gehstock bewährt, der an seinem unteren Ende
einen kleinen ausklappbaren Querbalken hat, über den der Patient
seinen Fuß hinweg hebt. Bei Bedarf kann auch ein Betreuer seinen Fuß
vor den Kranken stellen, damit dieser darüber steigt und so startet.
Die Beweglichkeit im Bett läßt sich verbessern, indem man Stoffe aus
Seide verwendet. Jedes Hilfsmittel, das letztlich nicht benutzt wird,
hat keinen Wert, betonten die anwesenden Ergotherapeutinnen. Es sei
daher unverzichtbar, Hilfsmittel vor dem Kauf auszuprobieren und sie möglichst
individuell anzupassen.
Psychologische
Betreuung
Zu den psychischen
Problemen nahmen Dr. Fornadi und der Würzburger Diplom-Psychologe
Ralph Schwarz Stellung. Schwarz wies auf überraschende Ergebnisse
einer umfangreichen Befragung von Parkinson-Patienten hin. Nach der
„Symptomverschlechterung unter Streß“ als häufigstem Problem
belegte bereits die „verschlechterte Partnerbeziehung“ den Platz
zwei der seelischen Belastungen“, gefolgt von „Schwierigkeiten in
der Verständigung“ und „Angewiesensein auf Hilfe im Alltag“.
Psychologische Hilfe kann nützlich sein, um die Folgen der Erkrankung
(wie Scham) zu bewältigen, Gefühle sprachlich auszudrücken (mangels
Mimik!) und Paare im Umgang mit schwierigen Symptomen zu schulen (wie
Ekel durch Speichelfluß, psychotische Episoden).
Logopädische
Hilfen
Für eine frühzeitige
logopädische Therapie bei Parkinson-Kranken sprach sich Petra Benecke
aus. Die an der Paracelsus Elena Klinik (Kassel) arbeitende Logopädin
wies darauf hin, daß folgende Symptome eine logopädische Behandlung
indizieren:
·
Hypomimie („Gesichtsstarre“)
·
Kau- und Schluckstörungen
·
Atemstörungen (flache, hastige Atmung, verminderte Atemkapazität)
·
Stimmstörungen (leise, heisere, monotone Stimmgebung)
·
Artikulationsstörungen (verminderte Artikulationsschärfe,
„Nuscheln“)
·
Sprechrhythmusstörungen („Stottern“, Beschleunigung des
Sprechtempos)
Frau Benecke machte
darauf aufmerksam, daß rotierende Kaubewegungen bei Parkinson-Kranken
abnehmen. Das typische Stottern verglich sie mit dem anfänglichen
„Tippeln“ beim klassischen Gangbild Parkinson-Betroffener
Orthopäden
als erste Anlaufstelle
Nach Erfahrungen von
Dr. Roland Hueber (Bergisch Gladbach) betreffen die meisten
Fehldiagnosen den Bewegungsapparat. „Schmerzhafte
Schulterarmsteife“, Cervicalsyndrom“ und „gelenkbedingte
Bewegungseinschränkung“ sind Beispiele solcher Erstdiagnosen. Es
ist ungünstig, wenn die Patienten schon ausgezogen im
Untersuchungsraum sitzen, bevor der Arzt eintrifft, erklärte der
niedergelassene Psychiater und Neurologe. So vergibt man sich die
Chance, asymmetrische Bewegungen beim schreitenden Patienten zu
erkennen. Mitunter führt erst die fünfmalig vergeblich reparierte
halbautomatische Armbanduhr auf die Spur, ergänzte Hueber scherzend.
Die Diagnose folgt dann aus der Erkenntnis, daß der von der
Parkinson-Krankheit betroffene Arm sich nicht mehr ausreichend
bewegte, um die Uhr in Gang zu halten.
Prof. Dr. Peter-A. Fischer
(Frankfurt) wies in der abschließenden Diskussion darauf hin, daß es
neben der Nichterkennung des Morbus Parkinson leider auch zu falsch
positiven Diagnosen komme. Nach seiner Erfahrung seien vor allem
Schriftveränderungen sehr zuverlässige Diagnosehilfen
(Die
Berichterstattung wird fortgesetzt)