von
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich Schultz-Venrath, Ärztlicher Direktor
Psychotherapeutische Klinik Stuttgart
Der folgende Beitrag möchte
durch einige Schlaglichter das Bewußtsein für die mannigfaltigen und
in der Praxis oft vernachlässigten psychosomatischen Aspekte der
Parkinson-Krankheit stärken. Er lädt dazu ein, sich einmal in die
Person des Patienten zu versetzen.
Parkinson-Kranke erleben
ihren Zustand oft wie ein „Eingeschlossensein“. Ihr Körper ist für
sie wie ein Gegenstand, der sich selbst durch die größten
Willensakte weder in Bewegung noch zur Ruhe bringen läßt. Manche
Kranke verarbeiten die Behinderung, indem sie diese in die Außenwelt
projizieren und sie als Widerständigkeit der Umgebung wahrnehmen. Die
Betreffenden haben große Schwierigkeiten, mit ihrer Umwelt zu
kommunizieren, weil ihr maskenhafter Gesichtsausdruck nicht zu einer
herzlichen Kontaktaufnahme einlädt. Er erweckt eher den Eindruck von
Antriebsmangel, Stumpfsinn und Affektlosigkeit. Haltungs- und
Bewegungsmuster der Kranken vermitteln zudem das Bild gealterter
Menschen, die starrsinnig sind und an Altbekanntem haften. Dabei
verbirgt sich hinter der Fassade von Parkinson-Kranken oft eine
Vielfalt von Empfindungen, die sich meist am Ausdruck der Augen noch
sehr gut ablesen läßt.
Einfluß
seelischer Faktoren auf Krankheitsbeginn und -verlauf
Einige Autoren
glauben, eine typische prämorbide Parkinson-Persönlichkeit
beschreiben zu können. Diese soll sich auszeichnen durch
Zwanghaftigkeit (bis zum Ordnungsfanatismus), extremen Fleiß und
Arbeitseifer, rigide soziale Wertvorstellungen, gehemmte Aggression,
strenge Religiosität bis hin zu Selbstbeschuldigungen und
Selbstbestrafungstendenzen. Auch Persönlichkeitstests beschreiben
Parkinson-Kranke als vergleichsweise zuverlässiger, pflichtbewußter,
unflexibler und unterwürfiger. Für das Verständnis der
Krankheitsgenese bedeutsamer ist möglicherweise die Beobachtung, daß
belastende Lebensereignisse dem Beginn der Krankheit vorherzugehen
scheinen (wie Todesfälle, unglückliche Kindheit, Scheidung). Dies würde
zu den Hypothesen passen, denen zufolge die Parkinson-Krankheit auf
einer Grundstörung mit konstitutionell schwachem Dopamin-System
beruht, das erst in Streßsituationen dekompensiert und dann zu
klinischen Symptomen führt. Es ist ja auch eine häufige Erfahrung,
daß sich ein Parkinson-Syndrom im Anschluß an bestimmte
Erkrankungen, wie z.B. Alkoholexzeß und Hirntrauma, verschlechtern
oder erstmalig einstellen kann. Schließlich wird noch die Ansicht
vertreten, daß seelischer „Dauerstreß“ zu einer vorzeitigen Ermüdung
des konstitutionell schwachen Transmittersystems führen kann. Diese
Art von Belastung und die daraus resultierende Erschöpfung nimmt nach
Beginn der Erkrankung oft noch zu, wenn die Kranken ängstlich-unsicher
auf die weitere Entwicklung ihrer Bewegungsstörungen lauern.
Anfänglich erleben viele
Patienten die ersten Anzeichen von Tonus-, Haltungs- und Bewegungsstörungen
noch nicht als krankhaft oder ich-fremd. Sie bewerten diese als
„Leistungseinbußen“ bzw. „Schonhaltungen“ und werfen sich
selbst vor, ängstlich, feige, müde oder unkontrolliert zu sein.
Steht nach einer längeren Phase der Unsicherheit die Diagnose
„Parkinson“ fest, ist oft ein „Schock“ die Folge. Meist läßt
er sich durch die guten Erfolge einer spezifischen
Antiparkinson-Medikation auffangen, da diese über einen längeren
Zeitraum die Symptome beseitigt und den Kranken psychisch wieder
entspannt. Erst wenn die Grenzen einer Langzeittherapie durch
Wirkungsschwankungen oder Nebenwirkungen sichtbar werden, erfolgt
erneut die Konfrontation mit der chronischen Erkrankung. Enttäuschungen
über diesen nicht mehr erwarteten Verlauf, Belastungen durch die
wieder auftretenden Symptome und stärkere Stimmungsschwankungen
erfordern nun eine besonders intensive therapeutische Zuwendung.
Dabei ist der Ambivalenz
vieler Kranker Rechnung zu tragen: Einerseits lehnen sie die betonte Fürsorge
der Umwelt ab, die sie aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes für
beeinträchtigter hält als sie selbst; andererseits kränkt sie die
mangelnde Respektierung ihres Leidens und ihrer Hilfsbedürftigkeit.
Überlastungsgefühle bei Anwesenheit vieler Menschen und die
Unsicherheit im sozialen Umgang fördern den allmählichen Rückzug
der Kranken, mit dessen Hilfe sie die befürchteten Pannen vermeiden
wollen.
Bei rund der Hälfte aller
Parkinson-Patienten stellt sich zusätzlich eine Depression ein. Da
beide Leiden wesentliche Symptome gemeinsam haben (Antriebslosigkeit,
motorische Verlangsamung, morgendliches Aufwachen) wird an die Möglichkeit
einer begleitenden Depression mitunter erst spät gedacht oder eine
„Depression“ in Fällen diagnostiziert, wo sie nicht gegeben ist.
Arzt-Patient-Beziehung
Für den behandelnden
Arzt ist es hilfreich, sich der Gefühle bewußt zu werden, die ein
Parkinson-Kranker bei ihm auslöst. Viele ärztliche Betreuer erleben
im Gespräch mit dem Kranken eine zunehmende Hilflosigkeit, in der sie
wie eingesperrt stillsitzen und das Ende der Ausführungen des
Patienten abwarten müssen. Sie spüren den Druck, trotz der „unerträglichen“
Langatmigkeit und Umständlichkeit der Kranken weiterhin ruhig und
freundlich zu bleiben. Da die meisten Parkinson-Patienten alle Fragen
selbst zuverlässig beantworten können, sollte man nicht dem Impuls
nachgeben, das Gespräch statt dessen mit den begleitenden Angehörigen
zu führen. Letztere bedürfen natürlich auch einer fachlichen
Begleitung, da die Folgen der Erkrankung das Zusammenleben mit den
Kranken erheblich verändern. Viele Unsicherheiten und Mißverständnisse
lassen sich durch Aufklärung ausräumen, wobei sich Gesprächsgruppen
für Parkinson-Kranke und ihre Angehörigen besonders bewährt haben.
Vertiefend:
H. Strenge, U. Schultz-Venrath: Parkinson-Krankheit. In:
Ahrens/Hasenbring/Schultz-Venrath/Strenge: Psychosomatik in der
Neurologie. Schattauer Verlag 1995