von Dr. Dr. med. Herbert Mück, Köln
Medizintheoretiker unterscheiden zwischen organischen Leiden (mit einem
meist visuell erkennbaren Schaden) und „Netzwerk-Erkrankungen“ (bei denen
die einzelnen Teile des Organismus zwar intakt sind, ihr Zusammenspiel
aber suboptimal verläuft). Angesichts organischer (z.B. Lewy-Körperchen)
und biochemischer Befunde (Dopaminmangel) ist man versucht, den Morbus
Parkinson vor allem den überwiegend organischen Erkrankungen zuzuordnen.
Neuere Befunde aus der Tremor- bzw. EMG-Forschung deuten nun darauf hin,
dass zumindest ein wesentlicher Teil der Parkinson-Symptomatik auf einem
gestörten Zusammenspiel von Erregungsmechanismen beruht. So gibt es
offenbar zerebral mehrere Oszillatoren, die den Muskeltonus regulieren. Um
koordinierte willkürliche Bewegungen durchzuführen, ist eine
Synchronisation der auf die beteiligten Muskeln einwirkenden Oszillationen
erforderlich. Parkinson-Kranken fällt eine solche Synchronisation
(Herstellen von „Kohärenz“) schwerer als Gesunden. Dies scheint besonders
für höher frequente Oszillationen zu gelten (15-30 Hz). Die typische
Parkinson-Bradykardie würde sich dann als Folge mangelnder Synchronisation
erklären lassen (Brown et al. 2001). Für den Zusammenhang zwischen
Oszillations-Kohärenz und Beweglichkeit sprechen auch die Ergebnisse der
Tiefenhirnstimulation, bei denen sich Kohärenz und Bradykardie
gleichermaßen bessern (Marsden et al. 2001). Selbst die typischen
Alltagshilfen (Marschmusik, Metronom, Schlag auf den Oberschenkel) passen
gut in das Bild von „Synchronisationshelfern“.
Denkanstöße in die gleiche Richtung liefern aktuelle EEG-Untersuchungen
(Müller et al. 2001). Sie deuten darauf hin, dass sich die Komplexität von
EEG-Signalen Parkinson-Kranker beim Lösen motorischer Aufgaben deutlich
weniger verringert als bei Gesunden. Die Autoren erklären dies damit, dass
das Striatum von Parkinson-Patienten nicht mehr in der Lage ist, aus der
Fülle vorhandener motorischer Programme diejenigen zu hemmen, die für die
betreffende Bewegungsaufgabe momentan nicht benötigt werden. So komme es,
dass weiterhin konkurrierende Handlungsbereitschaften aktiv sind, die sich
gegenseitig behindern. Das Resultat sind deutlich verlangsamte Bewegungen,
die vom Patienten als „anstrengend“ erlebt werden.
Dopaminerg wirkende Medikamente scheinen diese Verhältnisse wieder zu
normalisieren. Offenbar ermöglichen sie es dem Striatum, seine hemmende
bzw. filternde Funktion auf motorische Programme des Cortex wieder regulär
auszuüben.
P. Brown u.a.: Intermuscular coherence in Parkinson´s
disease: relationship to bradykinesia. NeuroReport 2001 (12) 2577-2581; J.
Marsden u.a.: Intermuscular coherence in Parkinson´s disease: effects of
subthalamic nucleus stimulation. NeuroReport 2001 (12) 1113-1117; V.
Müller u.a.: Investigation of brain dynamics in Parkinson´s disease by
methods derived from nonlinear dynamics. Exp. Brain Res. 2001 (137)
103-110
|